Da ich in den Landkreis Waldshut umziehe, muss ich leider mein Kreistagsmandat abgeben. Die letzte Sitzung fand am 18.10. statt und begann für mich mit einer riesigen Überraschung: Meine Freunde von der Mahnwache nutzten die „Fragestunde der Kreiseinwohner“ nicht nur, um einige Fragen zu stellen, sondern auch, um sich bei mir für meine Arbeit im Kreistag zu bedanken, und überreichten mir einen großen Blumenstrauß. Landrätin Damman war so verdutzt, dass Sie diesen „Protokollbruch“ nicht verhindern konnte. Ich habe mich über diesen Strauß sehr gefreut.
Doch jetzt zum Inhaltlichen:
Nach der Rede der Landrätin zur Einbringung des Haushaltes (darauf wird traditionell nicht direkt geantwortet) gab es eine Mitteilungsvorlage zum Schreiben des Regierungspräsidiums zum Nachtragshaushalt des Landkreises für 2023 (ich erinnere: Der Landkreis musste eine Haushaltssperre erlassen, bis der Nachtragshaushalt aufgestellt war.). Dieses Schreiben hat es in sich, weist es doch auf langjährige Versäumnisse und Fehlentwicklungen hin, die alle ignoriert wurden. Ich habe diese Mitteilungsvorlage genutzt um zur finanziellen Situation des Landkreises Stellung zu nehmen. Hier mein Wortbeitrag:
Sehr geehrte Frau Dammann, sehr geehrte Kreistagskollegen
In meiner letzten Sitzung des Kreistages ein solches vollkommen berechtigtes „Bashing“ des Regierungspräsidiums entgegennehmen zu müssen, tut weh.
Als ich 2011 bis 2014 diesem Gremium angehörte, sah die Welt noch vollkommen anders aus. Da lag der Landkreis Lörrach im Ranking des Prognos-Zukunftsatlasses auf Platz 50. Gewerbe- und Grundsteuereinnahmen sprudelten, die Welt sah rosig aus. Letztes Jahr lagen wir bekanntlich auf Platz 232 – dieses Jahr wären wir sicher noch weiter abgesackt. Da es sich hier um ein Vergleichsranking handelt und nicht um ein absolutes, und da alle Landkreise die gleichen politischen Bedingungen haben, ist dieser Absturz hausgemacht. Es sind also nicht nur die Krisen, die Sie, Frau Dammann, für die den Absturz verantwortlich mache, sondern schlicht und einfach die Politik des Landkreises unter Ihrer Führung.
Aber auch wir als Kreistagsgremium haben versagt. Ich kann mir zugute halten, dass ich von 2014 bis 2019 dem Gremium nicht angehört habe und so auch nicht an dem verhängnisvollen Entscheid für den Klinikneubau in der jetzigen Form und an dem jetzigen Platz beteiligt war. Trotzdem haben wir es als Kreistagsgremium nicht geschafft, den Landkreis vor diesem Absacken von Platz 50 auf Platz 232 zu bewahren.
Die repräsentative Demokratie ist eine trickreiche Sache. Formell verantwortlich für die Misere sind wir als Kreistagsmitglieder, denn wir sind das Entscheidungs- und Kontrollgremium. Wir entscheiden aber de Facto nur das, was die Verwaltung vorbereitet hat, und segnen dies in der Regel ohne große Widersprüche ab. Mehr ist auch in dem gegebenen ehrenamtlichen und gesetzlichen Rahmen nicht möglich, wie sollen sich 60 ehrenamtliche gegen einen Apparat von mehr als 1.000 Profis durchsetzen, die der Agenda ihrer Chefin folgen? Dazu kommen die Abhängigkeiten von Entscheidungen auf Landes- Bundes- und Europaebene.
Und hier muss ich Sie, Frau Dammann, konkret ansprechen. Ich habe bei damals bekanntlich Ihre erste Kandidatur als Landrätin unterstützt und in der Grünen Fraktion für Sie geworben, da ich Sie ja aus dem Lörracher Gemeinderat kannte. Nach meiner „Kreistagspause“ habe ich Sie kaum noch wiedererkannt. Heute würde ich Ihre Wahl nicht mehr unterstützen. Ein entschiedener, aber doch als kooperativ und vernunftgesteuert empfundener Führungsstil ist einer von mir als „Durchregieren“ empfundenen, fast autokratisch anmutenden Führung der Verwaltung gewichen, die einer nicht mehr vernunft- sondern ideologiegesteuerten Agenda zu folgen scheint, und die sich insbesondere, aber natürlich nicht ausschließlich in den überzogenen und angstgesteuerten Entscheidungen und Erlassen der Coronazeit zeigten. Viele dieser ideologischen Strukturen kommen als Vorgabe zugegebenermaßen immer mehr von oben, also von Landes-, bundes- und Europaebene. Aber statt sich hier vernunftgesteuert zur Wehr zu setzen, setzen Sie darauf, den Landkreis Lörrach hier zum Musterschüler zu machen. Mit bekanntem Ergebnis.
Leidtragende sind die einfachen Menschen, die die finanzielle Misere jetzt ausbaden müssen, denn die massive Erhöhung der Kreisumlage wird gewaltige Löcher in die schon jetzt leeren Kassen der Gemeinden reißen, die zu einem Kahlschlag im kommunalen Angebot für die Menschen führen wird.
Wir als Kreistag haben es nicht geschafft, die Verwaltung so zu steuern, dass der Niedergang des Landkreises gestoppt wird, ein Niedergang, der durch das Schreiben des Regierungspräsidiums nochmals verdeutlicht wird, der durch das Prognos-Ranking aber auch gut messbar ist.
Nach einigen anderen TO-Punkten wurde eine Beschlussvorlage zu einer Resolution der kommunalen Gesundheitskonferenz zur immer schlechter werdenden pädiatrischen Versorgung (Kinderärzte) im Landkreis vorgestellt. Ich habe ja seit Einführung der kommunalen Gesundheitskonferenz dort mitgearbeitet, durfte dann aber nach der Beendigung meines Gaststatus bei der Grünen Fraktion nicht mehr mitspracheberechtigt teilnehmen. Dieses Gremium ist leider auch zu einem zahnlosen Tiger geworden, wenn es – statt im Landkreis tätig zu werden – nur Resolutionen schreibt um andere zum Handeln aufzufordern.
Hier mein Wortbeitrag dazu:
Resolutionen sind schön und gut, aber eigentlich sollten wir ja schauen, was wir selber machen können und nicht etwas von anderen fordern, die das eh nicht tun.
Wir könnten zwei Dinge tun: Einmal konkret einzelnen Medizinstudenten das Studium mitfinanzieren, wenn sie sich anschließend verpflichten, im Landkreis als niedergelassener Kinderarzt zu arbeiten.
Zum zweiten könnten wir Punkt 10 der Resolution direkt organisieren. Es gibt im Landkreis nicht nur einen Naturheilverein, der sich die Stärkung der Gesundheitskompetenz (nicht nur von Eltern) auf die Fahne geschrieben hat, sondern auch dutzender Therapeuten, gerade aus dem ganzheitlichen und naturheilkundlichen Spektrum, die die Kompetenzen haben, Eltern Gesundheitskompetenz zu vermitteln.
Wenn wir diese Kompetenzen nutzen, können wir selbst wirksam werden statt Resolutionen zu schreiben.
Interessant war auch ein weiterer TO-Punkt, ein Antrag der Grünen Fraktion, die „Energie- und Wärmewende“ zu beschleunigen und dazu die „Investitionstätigkeit auszulagern„, weil der Kreishaushalt ja gerade keine Investitionen zulässt. Interessanterweise wurde dieser Antrag von der Verwaltung unterstützt, der erste Redebeitrag von Frau Heute-Bluhm (CDU) lobte ihn ebenfalls, auch von den anderen Fraktionen gab es Unterstützung. Hier mein Redebeitrag:
Die Grünen rufen hier auf, die „Investitionstätigkeiten auszulagern“. Dies ist eine schöne Umschreibung für sog. PPP-Modelle, also Public-Privat-Partnership. Es gab mal Zeiten, in denen die Grünen sich vehement gegen solche Modelle gewehrt haben – dass er jetzt von der CDU unterstützt wird, zeigt die ideologische Annäherung. Aber so, wie die Grünen auch mal für Frieden waren und gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete, scheint auch hier ein Gesinnungswechsel stattgefunden zu haben – vielleicht auch, weil hier das eigene Klientel der Wind- und Solarindustrie „investieren“ und natürlich Geld verdienen will.
Wie PPP Projekte i.d.R. ausgehen, ist ja bekannt, am Ende zahlt die öffentliche Hand mehr und die Investoren füllen sich risikoarm die Taschen. Die versprochenen Win-Win-Situationen haben sich in den wenigsten Fällen verwirklicht.
Vor dem letzten TO-Punkt der öffentlichen Sitzung wurde ich dann verabschiedet. Frau Dammann rekapitulierte meinen „kreistagspolitischen“ Werdegang und meinte, dass meine Beiträge in der Kreistagssitzung dazu beitragen würden, sie zum Einnehmen einer anderen Perspektive anzuregen (was leider nur sehr kurzzeitig geschieht). Sie überreichte mir ein kleines Präsent, das die Wertschätzung des Landkreises für die langjährige ehrenamtliche Arbeit widerspiegelt. ( 🙂 )
Ich hatte natürlich eine kleine Abschiedsrede vorbereitet:
Sehr geehrte Frau Dammann,
Sehr geehrte Kreistagskollegen
Sehr geehrte Mitarbeiter der Verwaltung
Der eine oder andere mag erleichtert sein, dass ich in den Kreis Waldshut umziehe, besteht dann doch die Hoffnung, dass die Kreistagssitzungen etwas kürzer werden.
Ja, ab und zu habe ich mich schon etwas wie ein Alleinunterhalter gefühlt, aber es gibt einfach Dinge, die gesagt werden müssen, auch wenn die Resonanz nicht da ist – vielleicht wird sich der eine oder anderen später mal daran erinnern.
Allerdings ist diese Aktivität ja auch selbstverschuldet. Es wird immer von Demokratie geredet, von demokratischer Mitwirkung, von der Einbeziehung von Minderheiten und von gleichberechtigtem Dialog. Dies sind alles nur Sonntagsreden, denn wenn es Ernst gewesen wäre, dann wäre ich bei der Verteilung der Sitze in den Gremien des Kreistages berücksichtigt worden. Insbesondere die sich in der heutigen Resolution zeigende mangelnde Selbstwirksamkeit der kommunalen Gesundheitskonferenz bedauere ich sehr. Dort habe ich ja seit der Gründung derselben aktiv mitgearbeitet und hatte gehofft, dies in der jetzigen Legislaturperiode fortsetzen zu können.
Vieles von dem, was ich als Fazit hier ziehen möchte, habe ich schon in meinem ersten Beitrag heute gesagt:
Dass der Kreistag seiner Aufgabe der Kontrolle der Verwaltung nicht nachkommt, ist auch strukturell bedingt, denn dass Bürgermeister im Kreistag sitzen, die von der Landkreisverwaltung abhängig sind, ist alles andere als demokratisch. Die Grünen in BW hatten, als sie noch in der Opposition waren, hier eine Änderung gefordert – da sie aber jetzt selbst Bürgermeister stellen, wurde diese bis jetzt nicht umgesetzt, obwohl sie dies als Regierungspartei in Stuttgart schon lange hätten ändern können.
Eine Mitarbeit in diesem Gremium ist zwar formell ein Ehrenamt, wenn dieses Gremium die Aufgabe, die es eigentlich hat, nämlich die effektive Kontrolle der Verwaltung, wirklich wahrnehmen will, muss es besser ausgestattet werden. Dass diese Kontrolle der Verwaltung statt eines mehr oder weniger alternativlosen Abnickens der Verwaltungsvorschläge bitter nötig ist, zeigt die Entwicklung in unserem Landkreis von Platz 50 auf Platz 232 des Prognos-Zukunftsatlasses. Aber dazu sind auch andere Rahmenbedingungen für die Arbeit im Kreistag notwendig, so dass statt Bürgermeistern viel mehr Mitgliedern der Zivilgesellschaft aus allen anderen produktiven Berufen hier aktiv sein können. Von einem Gremium, das zu 2/3 aus Bürgermeistern oder Rentnern besteht und absolut nicht die Bevölkerung des Landkreises repräsentiert, kann dies nicht erwartet werden.
Ich möchte mich bei allen bedanken, die meinen Äußerungen mehr oder weniger unfreiwillig zuhören mussten, aber auch dies ist ein Element der Demokratie, denn Demokratie ist auch anstrengend.
Ich wünsche Ihnen und dem Landkreis Lörrach trotzdem eine gute Erholung und 2025 einen besseren Platz im Prognos-Zukunftsatlas. Vielleicht wird die nächste Kommunalwahl hier neue Konstellationen schaffen.